Die wilden Schweine aus unserern Wäldern
Text und Bilder: Frank Siegwarth
Das Ansehen der Wildschweine in der Öffentlichkeit ist zumeist geprägt von Vorurteilen. So lastet ihm – wie allen Schweinen – der Ruf an, dumm, faul und übelriechend zu sein. Des weiteren wird ihm eine besonders bösartige Aggressivität zugeschrieben.
All diese Vorurteile der Menschen gegenüber dem Wildschwein beruhen auf mangelnder Information und man ist offenbar auch gar nicht gewillt, das Tier Wildschwein besser verstehen zu lernen. Wildschweine werden als Schädling deklariert und in manchen Regionen gnadenlos gejagt!
Die Medien tun ihr übriges dazu, denn wann gibt es positive Schlagzeilen zu diesem Thema? Titel wie „WILDSAU lief AMOK“ oder „WILDSCHWEINE zerstörten Gärten“ oder „MENSCH von WILDSCHWEIN bedroht“ dominieren die Schlagzeilen und tragen zusätzlich zur Rufschädigung bei.
Leider möchte sich zudem kaum jemand mit diesem Thema beschäftigen und das Image auf eine positive und verständnisvollere Art und Weise beeinflussen. Offenbar hat man Angst davor, das alt Dahergebrachte zu revidieren und die Standpunkte zu verändern, denn je mehr man sich intensiv mit dem Wildschwein beschäftigt, desto mehr ist man von diesen wunderbaren Tieren fasziniert!
Mit den folgenden Zeilen und Ausführungen soll mit den gängigen Vorurteilen aufgeräumt und das Gegenteil bewiesen werden. Lassen Sie sich von uns in die faszinierende Welt der Wildschweine entführen. Es lohnt sich…
Das Erscheinungsbild der Wildschweine
Die wohl possierlichsten Erscheinungen unter den Wildschweinen sind die Frischlinge.
Sie sind braun/beige längs gestreift. Mit zunehmendem Alter verlieren sich jedoch die Streifen und es bleibt ein helles bis mittelbraunes Fell.
Keiler und Bachen sind mit einem braunen, grauen bis schwarzem Fell bekleidet. Die dunkle Färbung brachte ihnen auch den Namen „Schwarzkittel“ ein. Das Fell ist in 2 Schichten aufgebaut. Zum einen gibt es die deutlich sichtbaren Borsten, aber auch ein kurzes und wollartiges Fell.
Im Sommer verliert sich das dichte Fell und macht einer lichteren und kürzeren Behaarung Platz. Imposant sind auch die Hauer des Keilers, welche eine beachtliche Länge erreichen können.
Wildschweine (Schweine) sind Paarhufer. Der Beschaffenheit ihrer Pfoten verdanken die Schweine, dass sie sich auch auf unwegsamen, weichen oder matschigem Boden so gut fortbewegen können, ohne tief einzusinken.
Das Gewicht liegt bei ausgewachsenen Bachen zwischen 70 und 100 Kg. Alte Keiler können schon einmal bis 200 Kg auf die Waage bringen. Seltenst finden sich in Deutschland Exemplare von über 200 kg. Die Kopf-Rumpf-Länge liegt zwischen 1,5 m und 1,8 m und die Schulterhöhe beträgt 0,7 m bis 0,9 m.
Das soziale Verhalten von Wildschweinen
Wie alle Schweine haben auch Wildschweine ausgeprägte Sozialstrukturen. Wildschweine leben in einer sogenannten Rotte. Ganz im Gegenteil zum Irrglauben vieler Menschen ist diese Rotte nicht ein bunt zusammengewürfelter Haufen von irgendwelchen Wildschweinen, welche sich auf Wald und Feld begegnet sind.
Die Tiere sind in der Regel miteinander verwandt. Ist die Rotte erst einmal komplett, wird nur ganz selten ein fremdes Tier geduldet.
Angeführt wird eine Rotte von einer sogenannten Leitbache. Die Leitbache ist im Regelfall das älteste und erfahrenste Tier der Rotte. Die Körpergröße ist hierbei nicht maßgebend! Sie sorgt sich um den Nachwuchs, regelt die Fortpflanzung und verteidigt die Rotte gegen Bedrohungen jeglicher Art!
Eine Rotte besteht aus ungefähr 3-5 großen Bachen, einigen Überläufern und schließlich den heranwachsenden Frischlingen.
Wie alle Schweine sind auch Wildschweine sehr verschmust und zuneigungsbedürftig. Körperkontakt ist Ihnen sehr wichtig.
Keiler werden mit zunehmendem Alter immer mehr zum Einzelgänger und durchstreifen alleine den Wald. Sie stoßen nur zur Paarungszeit zu den Rotten und sie halten außerhalb dieser Zeit immer einem Sicherheitsabstand zu Rotten, denn die Leitbache könnte ein „Zunahekommen“ als Bedrohung werten.
Gefahren durch Wildschweine
Eine direkte Gefahr durch Wildschweine besteht für den Menschen nicht. Der Fall ist ehr umgekehrt gelagert.
Wildschweine sind aufgrund ihres perfekten Geruchs- und Gehörsinns immer informiert was um sie herum geschieht. Daher sind Wildschweine meist auf der Flucht. Das bedeutet, die Wildschweine sind verschwunden, bevor wir sie überhaupt zu Gesicht bekommen haben.
Wenn es nun doch geschieht, ist eine Wildschweinbegegnungen meist nur von kurzer Dauer, denn bevor der Spaziergänger verarbeitet hat, was denn da über den Weg gehuscht ist, ist alles schon vorbei und Tiere im Wald verschwunden.
Die Fachliteratur gibt an, dass Bachen und Keiler beim Anblick des Menschen aggressiv und voller Kampfeslust reagieren.
Dem möchte ich einfach einmal widersprechen. Grund hierfür sind eigene Erfahrungen. So kann man einem ausgewachsenen Keiler schon einmal auf ca. 15m auf den Pelz rücken. Dann wird dem Eindringling erst einmal heftigst gedroht. Sollte der Störenfried diese Warnung nicht verstehen, kann in der Tat eine „Wildschweinattacke“ bevor stehen. Bei einem ausgewachsene Keiler kann dies auf Grund seiner großen Hauer (Gewaff) zu schweren Schnittverletzungen führen, die lebensbedrohliche Ausmaße annehmen können!
Eine Bache mit Frischlingen verhält sich sicherlich eine Spur unbeherrschter und es ist nicht empfehlenswert, die Annäherungsgrenze auszutesten!
Sollte man tatsächlich eine Begegnung mit einem Wildschwein haben, so ist es ratsam, sich am besten in die entgegengesetzte Richtung ohne Hast zu entfernen. Versuche das Tier mit Stein- oder Astwürfe zu verjagen bewirken nur das Gegenteil! Dies sollte man auch bei Begegnungen im eigenen Garten beachten.
Respekt und Vorsicht dem Tier gegenüber ist das Gebot, denn jedes Tier verhält sich wild und aggressiv wenn man es in eine beengende Situation bringt und erst recht, wenn man dadurch seine Mutterinstinkte und die Verteidigung des Nachwuches auslöst. Man sollte es daher vermeiden, solche Situationen heraufzubeschwören!
Allerdings ist es auch möglich, mit viel Geduld und Zeit, richtige Freundschaften zwischen Mensch und Wildschwein entstehen zu lassen.
Schäden durch Wildschweine
Aufgrund der starken Bejagung haben Wildschweine ihre Aktivitäten immer mehr in die Nacht hinein verlegt. So kommt es auch öfters zu „Übergriffen“ auf Gärten und Grünanlagen.
Doch auch dies hat seinen Grund!
Die zunehmende Bebauungsdichte lässt den Tieren oft keine Wahl alternative Nahrungsquellen in Ortschaften zu erschließen. Ihren Eiweißbedarf decken die Tiere überwiegend aus Würmern und Insekten. Unsere gepflegten Gärten sind für die Suche geradezu ideal geeignet. Kurz gehaltene Wiesen eignen sich prima zum Umwühlen und um auf Nahrungssuche zu gehen.
Auch unsere moderne landwirtschaftliche Bewirtschaftung der Flächen bieten ein verlockendes Nahrungsangebot. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie z.B. den Elektrozaun, um die Tiere von Nutzflächen fernzuhalten. Allerdings sei hier auch erwähnt, dass es keine 100% sicheren Zaun gibt, den ein cleveres Wildschwein nicht irgendwann zu umgehen weiss!
Eine weitere Möglichkeit ist die sogenannte Lockfütterung, welche die Borstentiere von den Ballungsgebieten weglocken soll.
Eine stärkere Bejagung, wie es von so vielen gefordert wird, würde hier allerdings kaum Abhilfe schaffen, denn bei Schwarzwildbeständen lassen sich Schäden nie vollständig vermeiden. Zudem geben Muttertiere ihre Erfahrungen an ihren Nachwuchs weiter und diese wissen dann wie und wo sich Nahrung finden lässt. Alleine deswegen ist von einer stärkeren Bejagung abzusehen!
Doch zum Thema „Bestandsregelung“ möchte ich an einer anderen Stelle ausführlicher zu sprechen kommen.
Die hohe Intelligenz der Wildschweine erlaubt es ihnen sich den geänderten Landschaftsbedingungen sehr rasch anzupassen. Das die Tiere den Weg in unsere Garten und Gärten finden, haben wir uns als Gesellschaft also tin erster Linie selber zu verdanken.
Das Problem der sogenannten „Überpopulation“
Überpopulation – ein tolles Wort und sooft ein Freibrief für manch einen Jäger. Doch haben gerade viele dieser Herrschaften dieses Problem mit zu verantworten! Aber auch hier sei etwas Vorsicht geboten, denn Jäger ist nicht gleich Jäger!
Die Jagd als Sport oder als Nahrungsbeschaffungsmaßnahme zu betreiben ist schlichtweg unsinnig und längst überholt.
Doch ich möchte hier nicht das fragwürdige Thema Jagd ausarbeiten und möchte wieder zum eigentlichen Thema zurückfinden – die Überpopulation.
In manchen Regionen ist es in Mode gekommen, dass die Jägerschaft ganzjährig Wildschweine anfüttert. Diese „Kirrung“ bewirkt dass die natürliche Auslese entfällt und schwache Tiere überleben. So kommen oftmals alle Frischlinge über ihren ersten Winter, was im Falle des Nichteingreifens des Menschen kaum geschehen würde.
Hintergedanke der Kirrung ist nicht, schwachen Tieren das Überleben zu ermöglichen, sondern dass es „immer ordentlich was zu jagen gibt“ (Zitat eines Hobbyjägers). Mit der im vorangegangenen Text beschriebenen Lockfütterung hat dies ganz und gar nichts zu tun, und ist auch oft von den zuständigen Forstbehörden ganz und gar nicht gerne gesehen.
Hobbyjäger können an sogenannten Treibjagden gegen eine Gebühr teilnehmen. Leider scheint gerade bei diesen Hobbyjägern ein großes Defizit in punkto Ausbildung und Wissen zu existieren. Nur allzu oft wird bei Anblick des ersten Wildschweins gleich drauf los geschossen. Ganz gleich ob Bache, Keiler, Überläufer oder Frischling!
Wird eine Leitbache geschossen, so hat dies aber für die Rotte verheerende Folgen!
Die Rotte ist nun ohne Führung und bis sich eine neue Leitbach ihren Platz erkämpft hat, dauert es einiges an Zeit. So kann es durch das Fehlen der Leitbache dazu kommen, dass die Bachen mehrmals im Jahr frischen, denn die Leitbache kontrollierte ja, wer sich fortpflanzen darf und wann dies geschieht.
In manchen Gegenden geht es sogar soweit, dass sogenannte „Herodes-Prämien“ auf erlegte Frischlinge ausgesetzt werden! Auch dies hat zur Folge, dass Bachen vor lauter Angst um ihre Art mehrmals pro Jahr frischen. Grotesker weise wird diese Tatsache nicht einmal abgestritten, sondern sogar in der einschlägigen Literatur ausführlich beschrieben und man ist sich dessen vollends bewusst!
Die veränderten Lebensbedingungen durch unsere Monokulturen tun ihr übriges hinzu, denn noch nie war das Nahrungsangebot für Wildschweine so reichlich wie in unserer modernen Zeit.
Natürliche Feinde hat das Wildschwein kaum noch! Ein Fuchs macht vielleicht Jagd auf einen Frischling, aber einem ausgewachsenen Wildschwein ist er nicht gewachsen. Dazu bedarf es eher einem Luchs, Wolf oder Bären und die haben wir bzw. die Jägerschaft nahezu ausgerottet.
Eine Ansiedlung dieser Tierarten ist auch nicht so ohne weiteres möglich und würde wiederum Probleme nach sich ziehen, spätestens dann, wenn der erste Wolf in einem Garten auftaucht und das Märchen vom „bösen Wolf“ wieder die Runde macht.
Das wohl größte Problem ist, dass es bis auf wenige Ausnahmen kaum noch große zusammenhängende Waldflächen in Europa gibt, die ein Ansiedeln solcher Tierarten möglich machen würden.
Fazit ist, das dies ein von uns Menschen verursachtes Problem ist und man sollte nie vergessen, dass das Schwarzwild eine wertvolle, einheimische Wildtierart ist, die es nicht zu bekämpfen, sondern dass sie zu erhalten gilt!
Nutzen der Wildschweine
Fällt das Wort „Wildschwein“, so denkt jeder gleich an Schäden in Gärten und Parks und tobende Tiere im Wald. Dass das Tier Wildschwein allerdings sehr nützlich ist, kommt kaum jemandem in den Sinn.
Durch das Umgraben (das sogenannte Brechen) des Bodens wird die obere Bodenschicht mit tieferen Erdschichten vermischt. Das bedeutet, dass die nährstoffreiche Humusschicht untergewühlt und der Boden dadurch aufgelockert wird. Dadurch entsteht eine Feuchtigkeitsverteilung im Boden, die für Keimlinge eine optimale Kinderstube bildet und Sauerstoff und Nähstoffe in einer hervorragenden „Dosierung“ vorfinden. Dies trägt auch zur Verjüngung der Wälder bei, denn in von Wildschweinen „gepflegten“ Wäldern gibt es 3 bis 4 mal mehr junge Bäume als in vergleichbar anderen Waldgebieten!
Hinzu kommt noch, dass Wildschweine den Wald von einer Vielzahl von Schädlingen befreit. Hierzu zählen z.B. Engerlinge (die Larven aller Blatthornkäfer / nicht nur die des Maikäfers) oder auch der Kiefernspanner.
Für eine gesunde Fauna und Flora ist das Wildschwein also unabdingbar, da es mithilft, den Insektenbestand auf natürliche Art zu regulieren und den Boden lebendig hält!
Kennenlernen von Wildschweinen in Wildparks
Sehr viele Wildparks halten Wildschweine und für viele Menschen ist ein Wildpark ein willkommenes Ausflugsziel. Diese Wildparks sind oft die einzigste Möglichkeit, Wildschweine aus unmittelbarer Nähe zu betrachten. Gerade Kinder erfreuen sich wenn sie Frischlingen sehen.
Oftmals kann in diesen Wildparks beobachtet werden, dass Spaziergänger diese Tiere füttern. In manchen Parks wird dies geduldet. An sonnigen Sonn- oder Feiertagen kommt es zu regelrechten Besucherströmen. Das führt dazu, dass die Tiere ein Überangebot an Nahrung vorfinden, welche größtenteils gar nicht zum Verzehr für Wildschweine geeignet sind.
Leider betrachten viele die liebenswerten Borstentiere als Müllschluckern auf vier Beinen. Verfüttern Sie bei Ihren Besuchen bitte keine Speiseabfälle, sondern geben Sie den Wildschweinen (gilt natürlich auch für andere Arten) nur Futter, das sie auch auf ihren Streifzügen in freier Wildbahn finden wurden! Alles andere macht die Tiere krank!
Auf den Speiseplan gehören, z.B. Früchte wie Äpfel, Eicheln oder auch Kartoffeln, und Tomaten. Gegen Gemüseverschnitt, der beim Putzen von frischem Gemüse oder Salat anfällt ist nichts einzuwenden, solange dieser unbehandelt ist. Verfüttern Sie auf gar keinen Fall Fleisch oder bereits zubereitete Speisen, diese können im schlimmsten Fall einen Ausbruch einer Seuche, wie z.B. Schweinepest bewirken!!
Füttern Sie auch nicht im übermaß, denn wenn jeder Besucher etwas mitbringt, so führt dies zu einer Überfütterung der Tiere und fördert somit Krankheiten. Bitte bedenken Sie all dies bei Ihren Besuchen!
Toleranz und ein Leben mit den Wildschweinen
Wer aufmerksam gelesen hat, wird nun einiges über Wildschweine wissen und ihre Verhaltensweise verstehen. Wildschweine sind also nicht die bösen, ständig randalierenden und aggressiven Rüsseltiere aus unseren Wäldern – das Gegenteil ist der Fall!
Wildschweine sind sehr wichtig für ein gesundes Landschaftsbild.
Sie bekämpfen eine zahllose Anzahl von Insekten im Larvenstadium, welche im Falle der Ausschlüpfens große Schäden in der Forst und auch der Landwirtschaft hervorrufen könnten. Sie sorgen für einen gesunden Boden auf Wald und Flur!
Wenn wir diesen intelligenten Tieren mit Respekt und Toleranz begegnen, sollte ein Zusammenleben mit ihnen möglich sein!
Denn die Welt gehört uns Menschen keineswegs alleine!