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Zum Ende der Seite springen Der Schmerz der Schweine
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Sabine
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Der Schmerz der Schweine Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Landwirtschaft

Der Schmerz der Schweine

Weil Verbraucher Eberfleisch ablehnen, werden Ferkel ohne Betäubung kastriert - doch es gibt Alternativen.
Von Christina Hucklenbroich

Zähne werden abgeschliffen, Hörner entfernt und Schwänze gekürzt: Viele Eingriffe bei landwirtschaftlichen Nutztieren erfolgen ohne Betäubung. Hierzu gehört auch die Kastration.

Die letzte Änderung des Deutschen Tierschutzgesetzes betraf die Kastration von Ferkeln. Bislang durften männliche Ferkel bis zum Alter von einem Monat ohne Betäubung kastriert werden. Seit Mai 2006 ist dies nur noch in den ersten sieben Lebenstagen erlaubt.

Dass die Operation auch für junge Ferkel eine Tortur ist, war kürzlich Thema auf dem Symposium "Schmerz bei Tieren" der Tierärztlichen Hochschule Hannover.

Grund für die Kastration ist, dass sich das Fleisch von unkastrierten Ebern nicht vermarkten lässt. Im Hoden der Schweine wird von der Pubertät an das Hormon Androstenon produziert, das dem Fleisch der Tiere den strengen "Ebergeruch" verleiht. Etwa 20 Millionen männliche Ferkel werden deshalb jedes Jahr in Deutschland ohne Betäubung kastriert.

Der Landwirt hält das Ferkel hierzu an den Hinterläufen, schneidet die Hodenhaut auf, durchtrennt den Samenstrang und entfernt den Hoden. Der Eingriff dauert nur wenige Sekunden.

Bei der Operation schreien die Ferkel ununterbrochen. Ob dies ein Indiz für starke Schmerzen ist, war lange umstritten. Die Ferkel schreien nämlich schon, sobald sie festgehalten werden - bevor sie das Skalpell überhaupt spüren.

"Wahrscheinlich ist das ein angeborener Mechanismus, um Feinde abzuwehren", sagt Birger Puppe, Experte für die Verhaltensbiologie von Nutztieren. Puppe und seine Kollegen entwickelten ein Gerät, um Ferkelschreie vor und während der Kastration zu analysieren.

Sie kamen zu dem Schluss, dass während der chirurgischen Prozedur mehr hochfrequente Schreie auftraten als vor und nach dem Eingriff. Außerdem ändert sich auch die Lautqualität: Die Forscher verzeichneten eine höhere Reinheit der Laute und insgesamt längere Schreie.

"In der Humanmedizin hat man noch vor einigen Jahrzehnten fälschlicherweise angenommen, dass Säuglinge kaum Schmerzen empfinden", sagt Susanne Zöls, Tierärztin an der Universität München. "Diese Denkweise wurde für tiermedizinische Eingriffe wie die Kastration übernommen."

Noch immer vermute man, dass die Kastration umso schonender ist, je jünger das Tier ist: Das Gewebe ist bei jüngeren Tieren weicher, wodurch weniger Zerreißungen auftreten.



Erhöhter Stresspegel
Susanne Zöls zeigte in mehreren Versuchen die Konsequenzen des Routineeingriffs für den Hormonhaushalt der Tiere: Demnach ist der Stress für betäubte Tiere genauso gering wie bei Tieren, die nur festgehalten und nicht kastriert werden.

In dem Versuch kastrierte Zöls eine Gruppe Ferkel ohne Betäubung. Einer zweiten Gruppe wurde kurz vor der Kastration ein Schmerzmittel gespritzt. Eine dritte Ferkelgruppe wurde nur eingefangen und kurz festgehalten.

Die Tierärztin maß vor und nach der Kastration das Stresshormon Cortisol im Blut aller Tiere. Die Cortisolwerte waren bei den ohne Betäubung kastrierten Tieren noch vier Stunden nach der Operation stark erhöht; bei den anderen beiden Gruppen waren sie deutlich niedriger.

Was daraus folgt, ist noch ungewiss, denn die Kastration von Ferkeln wird in und außerhalb der EU sehr unterschiedlich gehandhabt. In Norwegen etwa dürfen Ferkel seit 2002 nur noch mit Betäubung und ab 2009 gar nicht mehr kastriert werden. "Die Situation in Norwegen lässt sich nicht mit der in Deutschland vergleichen", sagt Jens Ingwersen vom Zentralverband der Deutschen Schweineproduktion (ZDS). "Das Land hat nur wenig Schweinemast."

In Norwegen werden zwar alle männlichen Ferkel unter Betäubung kastriert - es sind aber in jedem Jahr nur 700.000. "Die Kastrationen nur noch unter Betäubung durchzuführen, wäre in Deutschland mit seiner ausgeprägten Schweinezucht organisatorisch nicht machbar und auch nicht bezahlbar", sagt Ingwersen.

In Deutschland wie in Norwegen dürfen nur Tierärzte Tiere betäuben. Landwirte in Norwegen müssen für jeden Ferkelwurf einen Tierarzt rufen, während deutsche Schweinezüchter den Eingriff selbst übernehmen dürfen, solange dabei nicht betäubt wird. Die Landwirtschaft sehe sich hier jedoch selbst in einem ethischen Dilemma, räumt Ingwersen ein.

Die Mast unkastrierter Eber scheint keine Alternative darzustellen. "Ein Viertel aller Verbraucher reagiert mit Ekel auf Eberfleisch, ein Viertel nimmt den Geruch gar nicht wahr, alle anderen liegen dazwischen", sagt Rolf Claus von der Universität Hohenheim.

Der Agrarwissenschaftler spricht sich für die Immunisierung der Tiere gegen das Gonadotropin Releasing Hormon (GnRH) aus. GnRH wird aus dem Hypothalamus, einer Hirnregion, in die Blutbahn ausgeschüttet und regt die Androstenonbildung im Hoden an. Wenn man die Tiere mit einem verfremdeten GnRH-Molekül impft, bilden sie Antikörper gegen ihr körpereigenes Hormon, das in der Folge von Immunzellen gezielt zerstört wird. "Ohne GnRH entsteht auch kein Androstenon und damit kein Ebergeruch", sagt Claus, der die Methode erprobt hat.

Die Impfung erfolgt so kurz vor der Schlachtung, dass andere Körperfunktionen nicht eingeschränkt werden. In Australien wird das Verfahren bereits seit 1998 angewendet. Die australische Firma CSL, die das Impfpräparat auf den Markt brachte, wurde 2003 vom Pharmakonzern Pfizer aufgekauft.



Gefahr für die Marke Schwein
Pfizer strebt jetzt die Markteinführung des Präparates Improvac in Europa an und hat den Antrag auf Zulassung zunächst bei den spanischen Behörden eingereicht. Im Verfahren der gegenseitigen Anerkennung soll Improvac dann auch in anderen EU-Ländern zugelassen werden, also auch in Deutschland.

Tierärzte sehen vor allem das Risiko für den Anwender, sich das Präparat versehentlich selbst zu injizieren. Der Impfstoff kann den Menschen unfruchtbar machen. "Ich glaube nicht, dass eine solche Gefahr für die Marke Schwein gut ist", sagt der Schweineexperte Karl Heinritzi von der Universität München.

Um solche Bedenken zu zerstreuen, entwickelte Pfizer einen speziellen Sicherheitsinjektor. "Für den Konsumenten von Schweinefleisch gibt es kein Risiko", so Luc Goossens von Pfizer Tiergesundheit. "Improvac hat - oral aufgenommen - keine Wirkung . Es wird auch nicht ins Muskelfleisch der Tiere gespritzt, sondern nur unter die Haut."

Andere Alternativen zur Kastration sind noch nicht praxisreif: Durch die Auswahl geeigneter Spermien ließen sich etwa nur weibliche Ferkel bei der künstlichen Befruchtung erzeugen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Erbanlagen für den Ebergeruchsstoff Androstenon gentechnisch auszuschalten.

In Norwegens Landwirtschaft werden bereits kritische Stimmen laut, die sich über erhöhte Kosten in der Ferkelaufzucht beklagen. "Verbraucher müssten im Fall von Neuregelungen also auch in Deutschland bereit sein, die Schmerzfreiheit der Schweine mitzubezahlen", sagt Hansjoachim Hackbarth von der Tierärztlichen Hochschule Hannover.
(SZ vom 27.10.2006)
Quelle:http://www.sueddeutsche.de/wissen/artikel/972/89883/
28.10.2006 00:30
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