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18.07.2012 21.16 | Daan V. | nostalgische Borstenpflege
Wenn man es schon nostalgisch mag...


Es regnet wie Sau. Nach dem zu trocknen November, scheint jetzt Petrus mit uns die Wasserabrechnung noch eben nach oben zu korrigieren. Unsere Hausschweine, Rudi und Felix hassen den Regen. Ein verregneter Tag ist für die ein verlorener, verschlafener Tag. Aber ich verfalle nicht in eine Winterdepression, ich lasse mich jetzt „verwöhnen“, ich mache einen Schnitt!

Obwohl meine Haare ein wenig dünner werden, und meine Geheimratsecken den vielen Verstand unter Beweis stellen, muss ich hin und wieder zum Friseur. Die Zeit, dass ich als kleiner Junge hoch auf dem Aufsatz im roten Formel 1 Wagen sitzend, meine Augen beim Haarschnitt feste zudrückte und krampfhaft versuchte den Kopf so wenig wie möglich zu bewegen, um meinen Peiniger nicht zu verärgern , ist schon lange vorbei. Das Piksen im Nacken nach der Frisur war dabei noch das Schlimmste.
Alles wird anders, sagt man so, aber manchmal scheint die Zeit wie stillgestanden. Ich besuche immer noch die älteren Friseursalons, ich hasse das moderne Treiben mit übertrieben schwulen Friseuren, viel Gelaber , kleinen Veränderungen aber großen Preisen. Auch ein angebotenes Gläschen Sekt rechtfertigt das Ganze nicht.
Mein bevorzugtes „Haarstudio“, ist also eher der unscheinbare Laden an der Ecke, mit alten vergilbten Fotos von Menschen wie Du und ich, allerdings mit wahrscheinlich altmodischen Frisuren. Alles halb so wild. Aber auch da kann man an seine Grenzen stoßen. „Mein“ Salon des Vertrauens war so ähnlich: Alte Bilder im Schaufenster, dessen Boden mit Kies bedeckt ist. Zwei verstaubte Flaschen Haarspray, und ein paar altmodischen Plastikpflanzen, mehr nicht.

Das Hauptklientel des Salons besteht aus alten Einwohnern des Städtchen und aus Bewohnern des gegenüberliegenden neuen Altenheimes. Genau zwischen Altenheim und Salon, vis a vis , liegt die Hauptdurchgangsstraße....Dieses Heim mit seinen alten Bewohnern ist wohl das Hauptstandbein des Coiffeur-Unternehmens geworden. Aber eben diese, dazwischen liegende Hauptstraße sorgt für wilde, filmreife Szenen , wenn uneinsichtige, rollatorangetriebene, eigensinnige Greise meinen, diesen Verkehr auf anarchistischer Weise beruhigen zu müssen. Die vielen Bremsspuren auf der Straße stellen dieses unter Beweis. Wenn, mit ein Quäntchen Glück die andere Straßenseite erreicht wird, bilden die unumgängliche zwei Stufen vor dem Eingang das letzte Hindernis. Erschöpft, meistens nur mit Hilfe im Salon angekommen, wird dann von der Innenausstattung wahrscheinlich keine Notiz mehr genommen. ( wenn vom Sehvermögen her überhaupt möglich) Das beherbergt natürlich ungeahnte Vorteile: Das visuelle spielt keine all zu große Rolle mehr, auch was die Frisur anbelangt. Die Chefin des Ladens hat eine lockere Zunge, und das sie immer das Gleiche schreit, fällt natürlich keinem auf. Das darf man nicht vergessen...Zu ihrer Verteidigung muss ich fairerweise sagen, das dieses Schreien schon von funktioneller Art ist, weil sonst keiner , schon mal gar nicht unter der Haube sitzend , etwas verstehen würde. „Was haben wir ein schönes Wetter“ Frau Schulze zu Beikel! Antwort: „Ja, mein Vetter kommt auch aus Wanne Eickel!“

Die Innenausstattung fiel mir erst richtig auf, als ich ausnahmsweise mal warten musste. Alles Schrott, vom Stuhl bis zur Theke, Rasiergeräte wie vom Trödelmarkt, alles rissig , verzogen und oxidiert. Mit vom Wasserstoffperoxid tränenden Augen, schaute ich, um mich von diesem Elend abzulenken uninteressiert in eine Illustrierte. Da erfuhr ich, das Walter Steinmeier seiner Frau eine Niere gespendet hatte. Boh eh! , dachte ich, Respekt! Schon wieder?, der hatte selber doch nur zwei? Als ich dann unglaublich auf das Datum der Zeitschrift schaute, wurde mir alles klar...Wahrscheinlich wurde sie auch vom Trödelmarkt bezogen...

Einmal auf dem rissigen, verrosteten, also schrottreifen Friseurstuhl Platz genommen, verkniff ich nicht wie früher als kleiner Junge meine Augen, aber schaute in den Spiegel. Obwohl meine Brille auf der dreckigen Ablage des braunen Waschbeckens zwischengelagert war, wurde mir sogar trotz erheblicher Sichteinschränkung, das ganze Ausmaß des desolaten Zustandes sichtbar. Ich meine dabei nicht mein Gesicht, aber der des Ladens hinter mir. Zur Kernsanierung kann man am besten mit einem Radlader vorne rein fahren, und hinten wieder raus, dachte ich.
Als ich `geschnitten` nach Hause kam, sagte mein jüngster Sohn, während er mitleidend auf meine neue Frisur schaute : „den Prozess gewinnst du!“ Ich habe den Laden seitdem nie wieder besucht.

Auf Empfehlung unserer Reinigungsfachkraft (Putzfrau), besuche ich jetzt einen anderen Friseur. Der ist allerdings auch recht „rustikal“, aber was soll es....Da brauche ich gar nicht mehr zu warten. Ein schlechtes Zeichen?

Heute-Morgen, als ich nach einer Kurzfahrt durch Sturm und Regen optimistisch den Laden betrat, schaute das ganze Team von drei Personen mich gelangweilt , seine Blicke von Illustrierten nur kurzfristig abgewandt an, unter dem Motto: was macht der denn hier? Der Chef persönlich wurde gerufen. Er kam rein, sah ein wenig verschlafen aus, und sagte, wahrscheinlich um Schwung zu bekommen zwei mal übertrieben euphorisch „Guten Morgen“ , und probierte trotz seines fortgeschrittenen Alters einen so dynamisch möglichen Eindruck zu machen. Ich kenne das: das tut verdammt weh...Ich entschuldigte mich bei ihm für die Ruhestörung und nahm Platz auf dem nostalgischen, und mehrfach eingerissenen Friseurstuhl aus braunem Kunstleder. Daneben stand ein Aufsatz für kleine Kinder, richtig.: der rote Formel 1 Wagen...Die Frist für die TÜV Inspektion davon war aber eindeutig längst überschritten.
Mit übertriebener Gestik fing er an zu schneiden, und jonglierte lässig mit der Schere. Ich hatte Angst eine Spitze davon in meinen Augen zu bekommen, ein Horrorszenario...Ihre Borsten werden nicht dicker“ sagte er scherzend, während er ständig nach seinen überall herumliegenden Gerätschaften suchen musste. Dabei dachte ich eifersüchtig an unseren Felix, der mit seinen langen Borsten der Elvis der Familie genannt wird, und trotzdem nie zum Friseur muss. Der kriegt, wenn ihm wie gewöhnlich ein Mal im Jahr die Borsten ausfallen, wenigstens neue... ich nicht......

Wie im Traum wurde meinen neuen Haarschnitt fertig gestellt. Zum Schluss rasierte er zu meiner Erleichterung die Nackenhaare nicht mehr. Das dafür erforderliche Messer hat er in seinem Chaos wohl nicht mehr gefunden, oder war vielleicht fest-gerostet. Wer weiß, was für Verletzungen und Entzündungen er damit womöglich verursacht hätte. Dabei denke ich angsterfüllt, immer wieder an den Film: „Es passierte im Westen“, wo der Barbier beim Rasieren hinterlistig probierte, die Kehle vom Helden zu durchschneiden. Ein schneller Griff zur dessen Pistole, derer Lauf sofort auf den Schritt des Barbiers gerichtet wurde, konnte Schlimmeres vermeiden. Treffen der Röhre...
„Fertig!“ Aus der (Alp)Traum, zurück in der Realität. „Passt es Ihnen so?“, fragte er stolz, und streckte dabei schmerzverzerrt seinen krummen Rücken. Ich ließ meine Pistole fallen. Um ehrlich antworten zu können, brauchte ich natürlich meine Brille noch, die auf dem braunen Waschbecken lag. Theatralisch umsichtig gab er sie mir. Ich schaute in den Spiegel, sah meinen gebeutelten Kopf, und dachte an die überfahrene Taube die ich auf der Straße liegend, auf dem Hinweg gesehen hatte. „Prima so“, antwortete ich, und schaute wie ein Bauer mit Zahnschmerzen. Er befreite mich von meinem Kittel und bürstete als ich aufgestanden war schwungvoll die Haarreste von meinen Schulter ab. Ich zog meine Jacke wieder an, zahlte und sagte: „auf Wiedersehen!“.

Was bin ich ein verdammter Lügner., dachte ich im Auto, als ich durch den Regen nach Hause fuhr und an der Unfallstelle die überfahrene Taube, inzwischen in noch erbärmlicherer Verfassung, wieder liegen sah. Wehleidig und verständnisvoll schüttelte ich den Kopf, und sagte: “siehst du, das haben wir jetzt davon!“. „Wer ist denn bei dem stürmischen und regnerischen Sauwetter schon unterwegs!“ „Vorher sahen wir beide besser aus.“ „Du hast allerdings mit deinem Leben dafür bezahlt“.
Zu Hause angekommen, habe ich schnell, um von meinem Sohn nicht wieder zu einem Prozess animiert zu werden einen Hut aufgesetzt. Außerdem hat Felix vorher bei meinem Anblick einen akuten Weinkrampf bekommen. Ich wusste nicht, das er überhaupt Mitleid haben kann. In meinem Nacken fing es an zu piksen, genau so wie früher...Wird mein Hang zur Nostalgie mir noch zum Verhängnis? Muss ich dann doch bald meinen modernen, kreativen, aber teuren, übertrieben schwulen Friseur meines Vertrauens aufsuchen? Es gibt ja auch Hundesalons....Nun ja, ein Gläschen Sekt ist immerhin besser als ein Prozess....

18.07.2012 23.12 | Jeannus |
Ich muß unbedingt die Bilder vom Schweinetreffen des letzten Jahres nochmal durchschauen - ich war bisher fest davon überzeugt, daß Du aufgrund Deiner natürlichen Cabriofrisur gar keinen Friseur mehr besuchen müsstest - aber vielleicht warst Du damals auch kurz vorher bei einem....Dann verstehe ich wiederum Deinen Sohn!

19.07.2012 07.41 | Peter | RE: nostalgische Borstenpflege
Hi, Daan,
wirst Du diese edle Einrichtung vor dem Sommerfest noch einmal aufsuchen? Boah, bin ich gespannt!

LG
Peter

19.07.2012 07.50 | Daan V. | RE: nostalgische Borstenpflege
hallo Peter.

Ich werde mal mit Roony telefonieren und von ihm erfahren wie einen gewaltigen Haarzuwachs zu organisieren ist.

Aber Cabrio-Frisur.....

Daan

19.07.2012 08.08 | Peter | RE: nostalgische Borstenpflege
Hallo Daan,
ich muß zugeben, daß ich die allermeisten Deiner Beiträge wirklich sehr gern lese (und ich behaupte einfach einmal, daß ich damit nicht allein stehe).

Wie heißt es doch bei uns so schön:
Wo der Verstand wächst, müssen die Haare weichen.

Kann aber eigentlich nicht stimmen, denn Piggy und Heini haben (zumindest im Winter) ein genau so volles Borstenkleid, wie ihr Herrchen das ganze Jahr über, und niemand würde ernsthaft behaupten, daß Schweine keinen Verstand haben, oder?

Ob wir jemals herausfinden werden, was es denn vor dem Hintergrund des oben Gesagten mit Deinen Geheimratsecken auf sich hat?? ;)

Liebe Grüße
Peter

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